Rede der Niedersächsischen Kultusministerin Frau Julia Willie Hamburg am 06.11.2024 im Niedersächsischen Landtag zu TOP 5 a: „Berufsschulen von Bürokratie entlasten. Umschulungen erleichtern und Zertifizierungspflicht abschaffen“
Antrag zur Aktuellen Stunde der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, LT-Drs. 19/5675
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Berufsbildende Schulen sind unverzichtbar für die Fachkräftesicherung. Wir brauchen jede Fachkraft, die wir gewinnen können – und wir brauchen für unsere Berufsbildenden Schulen einfache Verfahren, um eine gute Ausbildung ermöglichen zu können: So einfach lässt sich der wesentliche Kern von Umschulungen und der damit verbundene Auftrag an unser Bildungssystem auf den Punkt bringen.
Ebenso prägnant lassen sich die Herausforderungen beschreiben, mit denen sich unsere Berufsbildenden Schulen bei Umschulungen aktuell konfrontiert sehen: zu viel Bürokratie und unnötige Doppelstrukturen. Und auch das lässt sich an einem einfachen Beispiel darstellen: „Verordnung über die Voraussetzungen und das Verfahren zur Akkreditierung von fachkundigen Stellen und zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch“ – so heißt nämlich das Zertifizierungsverfahren, das unsere Berufsbildenden Schulen durchlaufen müssen, um eine berufliche Neuorientierung anbieten zu können. Und hier passt der Name zum Produkt: Das Verfahren ist genauso umständlich, wie es klingt.
Berufsbildende Schulen müssen eine komplizierte Zertifizierung durchlaufen, wenn sie Umschülerinnen und Umschüler aufnehmen möchten. Die Schulen müssen für den Nachweis, geeigneter Bildungsträger zu sein, erhebliche Vorarbeiten leisten – in der Regel durch Lehrkräfte. Sie sind oft ein ganzes Schuljahr damit beschäftigt. Das bindet Ressourcen, die nicht in die Unterrichts- und Schulentwicklung fließen können. Lehrkräfte können sich in dieser Zeit nicht auf ihre Hauptaufgabe, den Unterricht und dessen Vor- und Nachbereitung, konzentrieren. Stattdessen bilden sie Prozesse ab, die die Schule im Rahmen der Qualitätsentwicklung sowieso schon beschrieben hat. Und all das erfolgt trotz der staatlichen Zulassung, Aufsicht und Kontrolle durch das Land. Fazit: Eine klassische Doppelstruktur, die viel Zeit, Energie und Ressourcen raubt.
Und es ist mit der Akkreditierung nicht getan. Hinzu kommt noch die Verpflichtung, sich jährlich einem Audit sowie der Rezertifizierung nach etwa drei Jahren zu unterziehen.
Hinzu kommen die zusätzlichen Kosten, die die Zertifizierung verursacht: Bis zu 10.000 Euro können die Akkreditierungen pro Schule kosten. Dazu jährlich noch einmal zirka 2.000 Euro für die Audits und alle drei Jahre für die Rezertifizierungen. Diese finanzielle Belastung ist besonders problematisch, da sie oftmals in keinem Verhältnis zur geringen Zahl der geförderten Schülerinnen und Schüler steht, die mit einem Bildungsgutschein die Schule besuchen möchten.
Der doppelte Aufwand und die zusätzlichen Kosten sind demotivierend und schrecken ab, Angebote für Umschülerinnen und Umschüler zu schaffen. Und damit wird nicht zuletzt möglichen weiteren Umschülerinnen und Umschülern der Weg verbaut, sich mit einem Bildungsgutschein in eine Ausbildung zu begeben. Und das trifft die Ausbildung in vollzeitschulischen Bildungsgängen besonders: Erzieher:innen, Sozialpädagogische Assistent:innen oder Pflegefachkräfte – gerade hier, wo wir um jede Fachkraft werben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
daher ist es höchste Zeit, dass sich etwas ändert! Aus diesem Grund macht die Landesregierung erneut einen Vorstoß, um die Zertifizierungspflicht für die berufsbildenden Schulen bundesweit aufheben zu lassen. Ziel dabei ist es, Schulen von einem doppelten bürokratischen Aufwand zu entlasten, damit sich die Lehrkräfte stärker auf ihre Kernaufgabe konzentrieren können. Niedersachsen wird daher eine entsprechende Initiative in den Bundesrat einbringen und hofft dabei auf die Zustimmung weiterer Bundesländer.
Die Qualität wird auch ohne Doppelstruktur gesichert:
Im März 2024 hat die KMK für alle öffentlichen berufsbildenden Schulen in Deutschland einen verbindlichen Qualitätsrahmen verabschiedet. Dieser gründet auf klaren Vorgaben, nach denen alle berufsbildenden Schulen sicherstellen, dass sie einen auf ihre Schule spezialisierten Qualitätsentwicklungsweg gehen. In Niedersachsen wird dieses durch das Qualitätsentwicklungsmodell KAM-BBS abgebildet. Das heißt, das Land gewährleistet nicht nur über die staatliche Aufsicht die Qualität der Schulen. Alle notwendigen Prozessbeschreibungen sind darüber hinaus auch schulrechtlich abgesichert.
Mit der Abschaffung der Zertifizierung für berufsbildende Schulen schaffen wir mehr Freiraum für den eigentlichen Bildungsauftrag der Schulen und Lehrkräfte. Statt einer doppelten Zertifizierung sollte der Fokus eher darauf liegen, die besten Bildungsstandards im Sinne der KMK zu erfüllen und wertvolle Ressourcen dort einzusetzen, wo sie den größten Effekt erzielen – in der Ausbildung der zukünftigen Fachkräfte. Zugleich setzt das Land damit konsequent seine Initiative 'Einfacher. Schneller. Günstiger´ mit dem über alle Ministerien vereinbarten Ziel fort, Verwaltungsverfahren grundlegend zu vereinfachen.
Berufsschulen entlasten, Umschulungen erleichtern: Ich danke Ihnen dafür, dass diesem Anliegen mit dieser Aktuellen Stunde mehr Gewicht verliehen wird.
Vielen Dank!
Artikel-Informationen
erstellt am:
06.11.2024
Ansprechpartner/in:
Britta Lüers
Nds. Kultusministerium
Pressesprecherin
Hans-Böckler Allee 5
30173 Hannover
Tel: 0511 120 7148