Rede der Niedersächsischen Kultusministerin Frau Julia Willie Hamburg am 29.01.2025 zu TOP 15 im Niedersächsischen Landtag: Berufsorientierung an allgemein bildenden Schulen ausbauen
Entschließungsantrag der CDU-Fraktion, LT-Drs. 19/2711
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
im Mittelpunkt der Beruflichen Orientierung steht, jungen Menschen Perspektiven aufzuzeigen und sie in die Lage zu versetzen, den für sie besten Weg einzuschlagen. Daher ist es wichtig, diesen Bereich zu stärken. Daran arbeitet diese Landesregierung und ich begrüße sehr jede Initiative, die dieses Anliegen unterstützt. Das gilt auch für den vorliegenden Entschließungsantrag der CDU-Fraktion, zumal wir uns in mehreren Punkten, die Sie aufführen, durchaus einig sind.
Anrede,
unser grundlegend anderes Verständnis von Beruflicher Orientierung besteht jedoch darin, dass wir diese als Prozess verstehen, der weder durch die eine verpflichtende Maßnahme, noch durch erzwungene Kooperationen verordnet werden kann. Vielmehr geht es darum, dass die Schulen den Raum erhalten, die Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich mit ihren schuleigenen Konzepten durch vielfältige Angebote, Maßnahmen und Beratungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen und mit den Erziehungsberechtigten in ihrem individuellen Prozess der Beruflichen Orientierung und beim Übergang in die Berufs- und Arbeitswelt zu begleiten.
Ziel muss es sein, dass alle Schülerinnen und Schüler ausgehend von ihren Interessen, Kompetenzen und Potenzialen in einem langfristig angelegten Prozess befähigt werden, sich selbstverantwortlich und aktiv für ihren weiteren Berufs- und Bildungsweg zu entscheiden. Und zwar für den Weg, den sie sich selbst wünschen und nicht denjenigen, der vielleicht einem antiquierten Geschlechterbild entspricht.
Es darf daher nicht, wie im CDU-Antrag gefordert, darum gehen, bestimmte Ausbildungswege, Branchen und Berufsbereiche in den Vordergrund zu rücken. Stattdessen sollen im Rahmen des schulischen BO-Konzepts sämtliche Wege nach dem erreichten Schulabschluss gleichermaßen aufgezeigt und erfahrbar gemacht werden: Dazu gehören sowohl duale und schulische Ausbildungen als auch duale Studiengänge sowie Studienmöglichkeiten an Fachhochschulen und Universitäten. Nur durch solche breit aufgestellten Orientierungsmöglichkeiten werden junge Menschen in die Lage versetzt, eine fundierte und damit auch längerfristig tragfähige Berufswahl zu treffen. Und nur so können wir letztlich auch dem Fachkräftemangel wirksam und nachhaltig begegnen.
Anrede,
unser Verständnis der BO als langfristigen und offenen Prozess bedeutet, dass die einzelnen Maßnahmen an die Erfordernisse vor Ort sowie die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen angepasst werden sollten. Daher ist es eher hinderlich, beispielsweise alle allgemein bildenden Schulen landesweit zu einem „Berufsorientierungstag“ in der 9. Jahrgangsstufe zu verpflichten. Auch hier gilt die Devise „Ermöglichen statt Verordnen“.
Entscheidend ist, dass für alle Schülerinnen und Schüler eine praktische Berufliche Orientierung in vielfältiger Weise erlebbar gemacht wird und das öfter, früher und zielgerichteter als bisher.
Hierfür ist eine gute Zusammenarbeit zwischen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie mit den Betrieben und Einrichtungen der Region und nicht zuletzt mit den Hochschulen besonders wichtig.
Anrede,
die Evaluation des aktuellen BO-Erlasses mit hoher Beteiligung von Unternehmen, Schulen, der BA, Kammern und Verbänden und nicht zuletzt von Eltern sowie Schülerinnen und Schülern bestätigen unsere Herangehensweise. Auf dieser Grundlage werden wir den Erlass weiterentwickeln.
Auch das schulische Betriebspraktikum bzw. die im Laufe der Sekundarbereiche I und II anzubietenden Praxistage müssen gestärkt werden. Zusätzliche freiwillige Praktika nur unter bestimmten Bedingungen, wie im Antrag der CDU formuliert, sind hingegen zu wenig!
Die Dauer und die Formate des schulischen Betriebspraktikums sollten flexibilisiert und individualisiert werden. Es sollte schulformübergreifend mindestens ein Praktikum im Sekundarbereich I und eines im Sekundarbereich II durchgeführt werden – und dies verbindlich. Hier setzen wir an und wollen auch Schülerinnen und Schüler der Gymnasien, die derzeit in der Regel nur ein Praktikum in Klasse 11 absolvieren, zukünftig bereits im Sekundarbereich I die Möglichkeit geben, die Berufs- und Arbeitswelt entlang ihrer persönlichen Interessen in einem weiteren Praktikum zu erkunden.
Anrede,
die Berufswahl ist eine Entwicklungsaufgabe für alle jungen Menschen. Demnach gilt es, die Berufliche Orientierung auch in allen Schulformen zu stärken, besonders an den Gymnasien bzw. in den Gymnasialzweigen der allgemein bildenden Schulen.
Anders als von der CDU vorgeschlagen, sehen wir in den berufsbildenden Schulen nicht nur Einrichtungen, die den allgemein bildenden Schulen Angebote zur Beruflichen Orientierung machen. Hier geht es vielmehr um eine Kooperation, die für beide Seiten einen Kompetenzgewinn der Lernenden bedeutet! Ebenso greift der Antrag der CDU-Fraktion bezüglich der Aufgabe der BBSen auch zu kurz, da übersehen wird, dass auch die Schülerinnen und Schüler der Vollzeitschulformen an den Berufsbildenden Schulen Unterstützung im Berufswahlprozess benötigen und somit einzubeziehen sind.
Anrede,
es wird uns gelingen, die Schülerinnen und Schüler auf ihrem individuellen Weg zu einer fundierten Berufswahl und zu einem reibungslosen Übergang in die Berufs- und Arbeitswelt zu begleiten, wenn
- die Berufliche Orientierung an allen Vollzeitschulformen der Sekundarbereiche I und II der allgemein- und berufsbildenden Schulen gestärkt wird,
- die Schulen bei der eigenverantwortlichen und flexiblen Gestaltung ihrer schulischen BO-Konzepte unterstützt werden und
- die schulische Zusammenarbeit zwischen allgemein- und berufsbildenden Schulen sowie mit den regionalen Partnerinnen und Partnern gefördert wird.
Diesem Anspruch wird der CDU-Entschließungsantrag leider in vielerlei Hinsicht nicht gerecht.
Daher legen wir Ihnen noch in diesem Januar-Plenum mit dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der Grünen, der am Freitag erstmals beraten wird, unsere Vorschläge und Maßnahmen zum Ausbau und zur Weiterentwicklung der Beruflichen Orientierung an den Schulen in Niedersachsen vor.
Vielen Dank!
Artikel-Informationen
erstellt am:
29.01.2025
Ansprechpartner/in:
Britta Lüers
Nds. Kultusministerium
Pressesprecherin
Hans-Böckler Allee 5
30173 Hannover
Tel: 0511 120 7148