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Rede des Niedersächsischen Kultusministers Grant Hendrik Tonne zu TOP 25 a der Landtagssitzung am 23.03.2022 - Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Bildung und gesundheitliche Versorgung für ukrainische Geflüchtete in Nieder-sachsen - welche Konzepte verfolgt die Landesregierung, um systematisch und schnell zu helfen?



Es gilt das gesprochene Wort!



Anrede,

vor weniger als einem Monat hätte niemand von uns für möglich gehalten, dass wegen eines Angriffskrieges mitten in Europa Millionen Menschen auf der Flucht sind und Schutz suchen. Die Aufnahme der geflüchteten Kinder und Jugendlichen stellt unsere Schulen und Kitas vor große Herausforderungen, aber die Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft ist beeindruckend groß.

Anrede,

die Landesregierung hat schnellstmöglich reagiert, um den geflüchteten Familien alle benötigten Informationen zum Schul- und Kitabesuch hier bei uns in Niedersachsen zur Verfügung zu stellen.

Auf den Internetseiten der Landesregierung wurden alle relevanten Informationen und Hinweise mit Verlinkungen zu Hilfsangeboten für geflüchtete Familien mehrsprachig bereitgestellt. Über die Bildung in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege informiert zum Beispiel die Broschüre „Mein Kind in der Kita“, die in Kürze auch in ukrainischer Sprache veröffentlicht wird.

Über die Schulpsychologie wurden umgehend Leitfäden für die Schulen für den Umgang mit dem Thema Krieg erarbeitet und den Schulen übermittelt. Auf dem Niedersächsischen Bildungsportal finden die pädagogischen Fachkräfte weiteres Material und Beratungsangebote.

Dies vorausgeschickt beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Inwieweit berücksichtigt das Angebot der Landesregierung für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen mit Gaststatus die vom Land Ukraine bereitgestellten digitalen Beschulungsmöglichkeiten und die dazu notwendigen Bedarfe (Räume, Technik)?

Im Auftrag der KMK hat das länderfinanzierte Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) rund 1.230 digitale Lernmittel vom ukrainischen Server des „Instituts für Modernisierung von Bildungsinhalten“ heruntergeladen und gesichert. Dies ist auch vor dem Hintergrund erfolgt, dass der Server in der Ukraine technisch oder physisch ausfallen könnte.

Solange der Server in der Ukraine läuft, können geflüchtete ukrainische Kinder und Jugendliche die digitalen Unterrichtsmaterialien über den ihnen bekannten Webzugang erreichen.

Über die bestehende Plattform mundo.schule (Open Educational Resources-Material für den digitalen Unterricht, das pandemiebedingt unter mundo.schule bereitgestellt wird) ist das Material ebenfalls ab sofort verfügbar. Das FWU steht außerdem mit dem privaten Anbieter einer ukrainischen Lernplattform (https://optima.school) in Verbindung, der jahrgangsspezifische Unterrichtsmaterialien digital anbietet, um diese ebenfalls bereitstellen zu können.

Der Schulcloud-Verbund der Länder Niedersachsen, Brandenburg und Thüringen hat die Dataport AöR als seinen technischen Dienstleister beauftragt, die Schulcloud ins Ukrainische zu übersetzen. Die Umsetzung wurde zur 14. KW zugesagt. Damit wird die Niedersächsische Bildungscloud ab dann auch auf Ukrainisch zur Verfügung stehen. Vorbereitet wird die Einbindung einer öffentlichen digitalen Lernplattform der Ukraine (lms.e-school.net.ua) inklusive der dort bereitgestellten Materialien. Auch mundo.schule wird kurzfristig in die Bildungscloud eingebunden werden.

Die Bereitstellung von zusätzlichen digitalen Endgeräten wird derzeit vorbereitet. Geräte, die für die Sicherstellung des Distanzunterrichts in der Pandemie angeschafft wurden und derzeit für diese Zwecke nicht genutzt werden, können den ukrainischen Kindern und Jugendlichen flexibel zur Verfügung gestellt werden.

Zu Frage 2: Inwiefern wird die Landesregierung einen Pool zusätzlicher Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher zur Unterstützung geflüchteter Kinder und Jugendlicher in Kitas und Schulen bilden, beispielsweise durch ehemalige SPRINT-Lehrkräfte oder durch das Anschreiben pensionierter Lehrkräfte (wie in Hamburg geschehen)?

Eine Krise benötigt die Unterstützung aller Beteiligter. Selbstverständlich wird die Landesregierung den Schulen und Kindertageseinrichtungen durch geeignete Maßnahmen unterstützend zur Seite zu stehen.

Wir appellieren an alle, die tatkräftig unterstützen wollen, und bitten insbesondere pensionierte Lehrkräfte und Studierende, sich über die das Bewerbungsportal https://www.eis-online.niedersachsen.de/ für eine Tätigkeit in den niedersächsischen Schulen zu registrieren.

Wir richten uns auch an die Menschen aus der Ukraine, damit sich geflüchtete ukrainische pädagogische Fachkräfte für eine Tätigkeit im niedersächsischen Schuldienst registrieren können. Hierzu wurde ein dreisprachiges Meldeportal eingerichtet. Es ist über die Internetadresse https://www.eis-online-nilep.niedersachsen.de/initiativbewerbung zu erreichen.

Dabei werden formale Hürden für eine Beschäftigung krisenbedingt vorübergehend außer Kraft gesetzt. So kann eine Tätigkeit auch aufgenommen werden, wenn ein entsprechendes Führungszeugnis zunächst nicht vorgelegt werden kann.

Die berufsbildenden Schulen haben im Rahmen von SPRINT bzw. SPRINT-dual befristet beschäftigtes Personal in eigener Verantwortung eingestellt. Diese Personen sind den BBS bekannt und können von ihnen für eine mögliche Unterstützung bei der Beschulung aus der Ukraine geflüchteter junger Menschen in den berufsbildenden oder auch in den allgemein bildenden Schulen vor Ort angesprochen werden. Ferner werden von den berufsbildenden Schulen auch regionale Unterstützungssysteme genutzt.

Anrede,

die Landesregierung unterstützt die Träger der Kindertageseinrichtungen bei der Gewinnung zusätzlichen Personals. Seit dem 1. Januar 2020 unterstützt sie Qualitätsverbesserungen in der Kindertagesbetreuung über die Bereitstellung von Fördergeldern in einem Umfang von rund 360 Millionen Euro. Über die entsprechende Zuwendungsrichtlinie fördert das Land die Beschäftigung von zusätzlichen Fach- und Betreuungskräften (Zusatzkräfte Betreuung) in Gruppen oder gruppenübergreifend in Tageseinrichtungen für Kinder, sofern überwiegend Kinder im Alter von drei Jahren bis zur Einschulung in den Gruppen betreut werden. Insbesondere Kindertagesstätten mit einem hohen Anteil betreuter Kinder mit Fluchterfahrung oder Kindern, in deren Familien nicht vorrangig Deutsch gesprochen wird, werden berücksichtigt. Auch Qualifizierungsmaßnahmen für Einrichtungsleitungen sowie zusätzliche Personalressourcen zur Unterstützung der Leitung (Zusatzkräfte Leitung) werden gefördert ebenso wie die Beschäftigung von in Ausbildung zur Sozialassistentin oder zum Sozialassistenten beziehungsweise zur Erzieherin oder zum Erzieher in Teilzeit befindlichen Kräften (Zusatzkräfte Ausbildung).

Anrede,

krisenbedingt werden wir den Trägern aber weitere Möglichkeiten für den Personaleinsatz als Teil des Instrumentenkoffers zur Krisenbewältigung zur Verfügung stellen.

Wir werden über eine Allgemeinverfügung zum heutigen Tag regeln, dass ukrainisches Fachpersonal im Einzelfall auch ohne Antragsverfahren in den Einrichtungen tätig werden kann. Zugleich steht den Einrichtungsträgern eine umfassende Niedersächsische Berufeliste zur Verfügung, die alle Berufe enthält, für die eine Zulassung in der Kita möglich ist. Sie ist das niedersächsische Pendant zu der in der Anfrage genannten Hamburger Liste und ebenso umfangreich.

Die Verpflichtung zur Vorlage eines Führungszeugnisses wird – wie für den Bereich Schule bereits ausgeführt – vorübergehend ausgesetzt.

Zu Frage 3: Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um bereits besonders beanspruchte Bereiche der medizinischen Versorgung im Hinblick auf die Versorgung von schwer kranken, alten bzw. immobilen und verletzten Menschen aus der Ukraine zu stärken (z. B. Pädiatrie, Intensivmedizin, Pflege)?

Geflüchteten Menschen aus der Ukraine werden im Krankheitsfall gemäß Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderlichen ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen gewährt.

Dazu zählen im Einzelnen:

• Kosten der akuten Krankenbehandlung

• Empfohlene Schutzimpfungen

• Vorsorge-/Früherkennungsuntersuchungen

• alle Leistungen des SGB V bei Schwangerschaft, Geburt, Mutterschaft

• Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln.

Sonstige Leistungen können gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich und medizinisch begründet sind.

Zudem wird Personen, die besondere Bedürfnisse haben, z. B. aufgrund von Folter oder schwerer physischer oder sexueller Gewalt, die erforderliche medizinische
oder sonstige Hilfe gewährt.

Die Leistungserbringung erfolgt grundsätzlich auf den regulären Versorgungswegen. Versorgungsengpässe oder zusätzliche Bedarfe sind aktuell noch nicht feststellbar. Die Landesregierung steht im ständigen Austausch mit den Leistungserbringern, um ggf. erforderliche Maßnahmen zu treffen.

Die niedersächsischen Krankenhäuser rechnen mit einer derzeit nicht bezifferbaren Anzahl an stationären Aufnahmen von Menschen, die aufgrund des Ukraine-Krieges ihren Weg zu uns gefunden haben und krankenhausbehandlungsbedürftig sind oder werden.

Erste Aufnahmen haben auch bereits stattgefunden. Generell dürfte jedoch nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl der Geflüchteten hospitalisierungspflichtig sein.

Es wird eher davon ausgegangen, dass weit überwiegend die ambulante medizinische Versorgung in Anspruch genommen werden kann. Dies gilt sowohl für den somatischen Bereich als auch für auf Grund von Kriegs- und Fluchterfahrungen erforderliche psychische Behandlungen.

Das stationäre Gesundheitssystem ist in Niedersachsen generell gut aufgestellt und leistungsfähig. Die Kliniken in Niedersachsen werden alles versuchen, damit alle Patientinnen und Patienten umfänglich und qualitativ hochwertig versorgt werden.

Der Bund plant aktuell die Fristen des § 22 KHG (Krankenhausfinanzierungsgesetz) zu verlängern, wonach Rehabilitationseinrichtungen auch über den 19.03.2022 hinaus bis zum 30.06.2022 als sogenannte Ersatzkrankenhäuser bestellt werden können.

Die aktuellen Corona-bedingten Personalausfälle stellen die Kliniken momentan vor große Herausforderungen.

Dementsprechend beabsichtigt die Landesregierung, von der in Aussicht stehenden Möglichkeit der Verlängerung der Bestimmung von Rehabilitationseinrichtungen nach § 22 KHG Gebrauch zu machen und damit die stationären Behandlungskapazitäten zu erweitern.

In Bezug auf die ambulante, stationäre und teilstationäre Versorgung von ukrainischen Flüchtlingen mit psychischen Erkrankungen liegen der Landesregierung derzeit keine Informationen zu einem erhöhten Behandlungsbedarf vor.

Es wird damit gerechnet, dass sich eine erhöhte Behandlungsnachfrage erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung in den psychiatrischen Versorgungseinrichtungen bemerkbar machen wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Kultusminister Grant Hendrik Tonne   Bildrechte: MK

Kultusminister Grant Hendrik Tonne

Artikel-Informationen

erstellt am:
23.03.2022
zuletzt aktualisiert am:
24.03.2022

Ansprechpartner/in:
Sebastian Schumacher

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