Klassenfahrtboykott: Ist das Angebot der Kultusministerin an die Lehrkräfte wirklich so großzügig?
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 05.06.2015 - TOP 24 - Nummer 4
Abgeordneter Ulf Thiele (CDU)
Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung
Vorbemerkung des Abgeordneten
In ganz Niedersachsen protestieren seit Monaten an zahlreichen Gymnasien Lehrkräfte mit einem Klassenfahrtboykott gegen die ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte Erhöhung ihrer Unterrichtsverpflichtung. Mit Pressemitteilung vom 17. April 2015 hatte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt ein Angebot vorgelegt und deutliche Verbesserungen bei der Durchführung von Schulfahrten in Aussicht gestellt. So soll laut der Pressemitteilung die Obergrenze für Übernachtungskosten von gegenwärtig 11 Euro ohne Nachweis bzw. 16,50 Euro mit Nachweis deutlich erhöht werden. Dabei brachte die Kultusministerin eine Regelung ins Gespräch, die sich an der Hälfte der allgemein für Dienstreisen geltenden Obergrenze orientiert, sodass die maximal zu erstattenden Kosten künftig bei 20 Euro ohne Nachweis bzw. 30 Euro mit Nachweis pro Übernachtung liegen würden. Ebenso sollen die Erstattungen für Nebenkosten verdoppelt werden. Des Weiteren kündigte die Ministerin mehr Zeitausgleich für Schulfahrten an. Die Erhöhung der Anrechnungsstunden will die Ministerin in der Arbeitszeitverordnung Schule verankern.
Auch nachdem die Kultusministerin den Lehrkräften dieses Angebot unterbreitet hat, wollen diese an ihrem Boykott festhalten. So berichtete die Nordwest-Zeitung am 19. Mai 2015 unter der Überschrift „Keine Klassenfahrten - Nordenhamer Gymnasiallehrer setzen Protest fort“ über Kritik des Personalrates des Gymnasiums Nordenham an den Vorschlägen der Kultusministerin. In dem Artikel heißt es: „Der Personalrat fragt, ob der Vorstoß der Ministerin für eine höhere Pauschale somit ein Propaganda-Gag war oder auf einer Milchmädchenrechnung beruhe.“ In einem Bericht über die Vorsitzende des Landesschülerrats, Daniela Rump, schrieb die Hannoversche Allgemeine Zeitung am 18. Mai 2015: „Das beherrschende Thema in Niedersachsen Schulpolitik werde wohl auch in den nächsten Monaten der Klassenfahrtboykott bleiben, sagt Daniela Rump.“
Vorbemerkung der Landesregierung
Schulfahrten sind pädagogisch sinnvolle Schulveranstaltungen, die den Schulunterricht ergänzen. Die Landesregierung misst Schulfahrten deshalb einen hohen Stellenwert bei. Schulfahrten bereichern das Schulleben jeder Schule. Lehrerinnen und Lehrer, die diese Veranstaltungen durchführen, verdienen besondere Anerkennung.
Die Landesregierung beabsichtigt, die Organisation und Durchführung von Schulfahrten durch einen aktualisierten Erlass zu erleichtern. Dieser Erlass soll alle wesentlichen organisatorischen Fragen abdecken, Rechtssicherheit für die Lehrkräfte mit Blick auf die Frage der Freiplätze schaffen und die Änderungen im Reisekostenrecht mit abbilden. Der Erlassentwurf ist abgestimmt, die öffentliche Anhörung steht unmittelbar bevor.
In diesem Entwurf sind u. a. folgende Verbesserungen für die Lehrkräfte vorgesehen:
Die Obergrenze für Übernachtungskosten wird von bisher 16,50 € auf 30,00 € angehoben – ohne Nachweis werden die Übernachtungskosten auf 20,00 € angehoben. Zusätzlich wird die Pauschale für Nebenkosten von bisher 5,00 € pro Tag – höchstens 12,50 € je Schulfahrt – angehoben auf 10,00 € pro Tag – höchstens 30,00 € pro Woche. Gleichzeitig entfällt die Nachweispflicht.
Es ist der Landesregierung ein Anliegen, für dieLehrkräfte die finanziellen Voraussetzungen bei der Durchführung von Schulfahrten deutlich zu verbessern. Die reisekostenrechtlichen Erstattungsmöglichkeiten für Schulfahrten sind seit Jahren nahezu unverändert geblieben und entsprechen nicht mehr dem heutigen Preisgefüge. Aus diesem Grund sieht der Entwurf des neugefassten Schulfahrtenerlasses hier entsprechende Änderungen vor.
Im Übrigen ist auch eine arbeitszeitrechtliche Entlastung für die an mehrtägigen Schulfahrten teilnehmenden Lehrkräfte vorgesehen. Die seit den 1980er Jahren auf dem § 4 Abs. 2 Niedersächsische Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten an öffentlichen Schulen (ArbZVO-Schule, zuvor ArbZVO-Lehr) basierende Regelung beinhaltete im Rahmen einer flexiblen Unterrichtsverpflichtung, dass – zusätzlich zu der als erteilt geltenden regulären Unterrichtsverpflichtung – zum Ausgleich der besonderen arbeitszeitlichen Belastung der Lehrkräfte während einer mehrtägigen Klassenfahrt pro Abwesenheitstag eine Unterrichtsstunde – maximal jedoch vier Stunden wöchentlich – als erteilt gilt. Mit der Änderung der ArbZVO-Schule im Rahmen der Novellierung des Schulgesetzes wird die Belastung der Lehrkräfte in größerem Umfang als bisher berücksichtigt. Die Änderung führt dazu, dass bei der Teilnahme einer Lehrkraft an einer mehrtägigen Schulfahrt neben dem stundenplanmäßigen Unterricht je Tag eine Unterrichtsstunde zusätzlich als erteilt gilt.
Die Landesregierung bedauert die Entscheidung einiger Lehrkräfte an Gymnasien, Schulfahrten aufgrund der Erhöhung ihrer wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung nicht mehr stattfinden zu lassen. Weil Schulfahrten unbestritten einen hohen pädagogischen Wert haben, bleibt zu hoffen, dass die Lehrkräfte ihre Entscheidung, mehrtägige Schulfahrten nicht mehr organisieren und begleiten zu wollen, im Interesse der ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler überdenken.
- 1. Werden die Budgets der Schulen in diesem bzw. im kommenden Haushaltsjahr dahingehend erhöht, dass die Erhöhung der Obergrenzen für Übernachtungs-
und Nebenkosten bei Schulfahrten für die Schulen kostenneutral ist?
Die eigenverantwortlichen Schulen bewirtschaften seit dem 01.01.2008 gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 NSchG ein Budget aus Landesmitteln. Bestandteil des Budgets der Schulen ist das sog. Basisbudget, aus dem die Schulen u. a. auch die Reisekosten für die Schulfahrten zu leisten haben. Der Ansatz für das Basisbudget der allgemein bildenden Schulen ist von 11,2 Mio. € in 2014 auf 11,7 Mio. € in 2015 erhöht worden. Die Erhöhung wird mit dem diesjährigen Kassenanschlag über eine entsprechende Anpassung der Stundensätze für die Bemessung des Basisbudgets allen allgemein bildenden Schulen eins zu eins weitergegeben. Die Schulen erhalten damit rückwirkend ab dem 01.01.2015 für dieses und auch die kommenden Haushaltsjahre ein um 5 vom Hundert erhöhtes Basisbudget. Damit stehen den Schulen zusätzliche Budgetmittel auch für die Begleichung erhöhter Erstattungen für Schulfahrtenauslagen zur Verfügung. Die Bewirtschaftung und der Einsatz der Budgetmittel im Einzelnen liegen weiterhin bei der jeweiligen eigenverantwortlichen Schule.
- 2. Wie viele zusätzliche Anrechnungsstunden erhalten die Schulen in Niedersachsen aufgrund der Änderung der Arbeitszeitverordnung Schule im Hinblick auf
die Erhöhung des Zeitausgleichs bei Klassenfahrten, oder müssen die Schulen diese Anrechnungsstunden aus ihrem eigenen Budget erwirtschaften?
Bei den im Rahmen des flexiblen Unterrichtseinsatzes nach § 4 Abs. 2 ArbZVO-Schule möglichen Mehr- oder Minderzeiten handelt es sich nicht um Anrechnungsstunden. Sie müssen deshalb auch nicht aus dem Budget der Schulen erwirtschaftet werden. Im Unterschied zu Anrechnungsstunden, die für die Wahrnehmung außerunterrichtlicher besonderer Aufgaben gewährt werden, wirken sich die für die Teilnahme an Klassenfahrten als erteilt geltenden Unterrichtsstunden nicht unmittelbar auf die bestehende Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte aus. Die durch die Teilnahme an einer Klassenfahrt entstehenden Mehrzeiten einer Lehrkraft werden im Rahmen des flexiblen Unterrichtseinsatzes von Lehrkräften berücksichtigt. Sie addieren sich zu bereits individuell gesammelten Mehr- oder Minderzeiten der teilnehmenden Lehrkraft. So vermindern sich eventuelle Minderzeiten oder es erhöhen sich bereits vorhandene Mehrzeiten der jeweiligen Lehrkraft. Der Abbau von Mehrzeiten kann etwa für aus persönlichen Gründen wahrzunehmende Termine der Lehrkräfte genutzt werden. Soweit dienstliche Belange dem nicht entgegenstehen, kann der Abbau von Mehrzeiten den Lehrkräften beispielsweise ermöglichen, an einem Tag der Woche von der Unterrichtsverpflichtung oder von einzelnen Unterrichtsstunden freigestellt zu werden, um z. B. dringende persönliche Termine während der Unterrichtszeit wahrzunehmen.
- 3. Stimmt die Landesregierung damit überein, dass die in der Pressemitteilung vom 17. April 2015 angekündigten deutlichen Verbesserungen bei der
Durchführung von Schulfahrten eine Rechnung zulasten Dritter, nämlich der niedersächsischen Schulen und damit unserer Lehrkräfte und unserer
Schülerinnen und Schüler, ist?
Nein. Die beabsichtigten Verbesserungen stellen eine deutliche Entlastung der Lehrkräfte bei der Organisation und Durchführung von Schulfahrten dar. Die Schulen werden infolgedessen nachhaltig besser unterstützt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Landesregierung und die Antworten zu 1 und 2 verwiesen.