Plattdeutsch und Saterfriesisch in der Schule
Plattdeutsch – dahinter verbirgt sich die umgangssprachlich gebräuchlichere Bezeichnung für Niederdeutsch – gehört mit Saterfriesisch zu den beiden so genannten kleinen Sprachen, über die Niedersachsen neben der Bildungssprache Hochdeutsch verfügt. Als „alte“ Sprache, die ihre Blütezeit während der Zeit der Hanse hatte und dort die Funktion einer „lingua franca” im Nord- und Ostseeraum besaß, ist sie auch heute noch insbesondere in den norddeutschen Ländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein mit einer nennenswerten Anzahl aktiv Sprechender vertreten. Plattdeutsch, ursprünglich eine Sprache des mündlichen und des schriftlichen Sprachgebrauchs, verlor in den letzten Jahrhunderten zuerst die Bedeutung im Schriftlichen und dann auch zunehmend in der mündlichen Verwendung. Im Bildungsverständnis der Bevölkerung wurde bis in die jüngste Vergangenheit hinein das Lernen und der Gebrauch des Plattdeutschen eher als schädlich und bildungshemmend, zumindest aber nicht als förderlich angesehen. Plattdeutsch wurde allenfalls im Rahmen von Sprachreflexion im Deutschunterricht bei Sprachvarietäten thematisiert und geduldet; neuniederdeutsche Lyrik und Prosa, die seit Mitte des 19. Jh. eine bescheidene Randstellung in der Volksschulbildung eingenommen hatten, verschwanden zudem wieder. Der Spracherwerb der Regionalsprache war in der Schule undenkbar. Dies führte dazu, dass Plattdeutsch über Jahrzehnte keinen Platz im Schulalltag hatte und folglich Eltern und Erziehungsberechtigte auch keine Notwendigkeit sahen, Kinder und Jugendliche an die Sprache heranzuführen.
Nicht zuletzt die Aktivitäten des Europarats und der Europäischen Union zum Erhalt kultureller Vielfalt in den Mitgliedsländern haben dafür gesorgt, dass auch die sprachliche Vielfalt Europas in den Blick geriet. Durch diese überstaatlichen Einrichtungen bekamen die Regional- und Minderheitensprachen eine europäische Dimension. Ihr Erhalt durch aktive Förderung wurde zur Aufgabe erklärt und mit der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen erhielten auch Niederdeutsch (Plattdeutsch) als Regionalsprache und Saterfriesisch als Minderheitensprache einen veränderten rechtlichen Status. Die Bundesrepublik Deutschland ist der Charta beigetreten und Niedersachsen ist eins von acht Bundesländern, das Verpflichtungen hinsichtlich der Regionalsprache Niederdeutsch eingegangen ist. Neben dem Kultusbereich sind noch andere Ressorts des Landes Niedersachsen wie z. B. das Ministerium für Wissenschaft und Kultur (niederdeutsche Studienangebote, kulturelle Angebote …), das Ministerium für Inneres und Sport (zweisprachige Ortsschilder, Plattdeutsch im Verwaltungshandeln …) von den Regelungen der Charta betroffen. Mit der Ratifizierung der Charta ist der mitzeichnende Staat rechenschaftspflichtig geworden und muss dem Sachverständigenausschuss des Europarats alle drei Jahre einen Bericht zu geplanten und durchgeführten Maßnahmen zur Förderung der Regional- und Minderheitensprachen vorlegen. Bevor der Prüfbericht des Sachverständigenausschusses dem Ministerkomitee zugeht, bereist der Ausschuss das jeweilige Land, um sich in einer Befragung der zuständigen Behörden und der Vertretungen der Sprachgruppen ein Bild über vergangene und zukünftige Entwicklungen zu machen.
Unbestritten ist jedoch, dass insbesondere dem Bildungsbereich bei der Umsetzung der Charta-Ideen eine tragende Rolle zufällt. Dabei war bei der Umsetzung der Charta-Intentionen für den schulischen Bereich hilfreich, dass mit den positiven Effekten von Mehrsprachigkeit sowohl beim Gebrauch der Erstsprache als auch beim weiteren Sprachenlernen das Negativ-Image auch der kleinen Sprachen zu bröckeln begann, denn diese positiven Effekte treten auch beim Erlernen einer weiteren Sprache auf, die nicht zwangsläufig eine Fremdsprache des schulischen Kanons sein muss. In Niedersachsen hat man diesen „Charta-Prozess“ in vielfältiger Weise umgesetzt. Bereits im Niedersächsischen Schulgesetz vom September 1993 findet sich erstmals im Bildungsauftrag des § 2 die Formulierung, dass die Schülerinnen und Schüler fähig werden sollen, „ihre Wahrnehmungs- und Empfindungsmöglichkeiten unter Einschluss der bedeutsamen jeweiligen regionalen Ausformung des Niederdeutschen oder des Friesischen zu entfalten“. Der ausdrückliche Hinweis auf das Niederdeutsche und das Friesische fehlte noch in der Fassung von 1980.
In den Kerncurricula des Faches Deutsch für den Primarbereich und die Schulformen des Sekundarbereichs I wird die Sprachbegegnung im Jahr 2006 erstmals verbindlicher Unterrichtsinhalt. Doch nachhaltige Erfolge zum Erhalt und zur Förderung einer Sprache im Sinne der Intentionen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sind nur dann zu erzielen, wenn ein Lernen der Sprache im Unterricht möglich ist. Insofern war es folgerichtig, dass mit dem Erlass „Die Region und ihre Sprachen im Unterricht“ vom 7.7.2011 die Grundlage geschaffen wurde, den Spracherwerb auch im Pflicht- bzw. Wahlpflichtunterricht zu ermöglichen.
Seit dem 01.06.2019 sind diese Regelungen mit der Veröffentlichung des Nachfolgeerlasses „Die Region und ihre Sprachen Niederdeutsch und Saterfriesisch im Unterricht“ auch für den Sekundarbereich II übernommen worden. Die Regionalen Landesämter für Schule und Bildung haben in Folge des Erlasses ein Beraternetzwerk zur Unterstützung der Schulen aufgebaut. Schulen, die sich auf den Weg machen, Plattdeutsch im Unterrichtsalltag zu implementieren, können zudem für einen begrenzten Zeitraum als so genannte Starter- und Projektschulen Entlastungen erhalten. Besonders erfreulich ist, dass bereits viele Schulen Plattdeutsch bzw. Saterfriesisch in ihr Schulprogramm aufgenommen haben und aktiv und kontinuierlich den Spracherwerb fördern, insbesondere durch zielsprachlichen Fachunterricht.
Das Niedersächsische Kultusministerium zeichnet regelmäßig Schulen des Landes als „Plattdeutsche Schule“ oder als „Saterfriesische Schule“ aus. Auf der Seite des Niedersächsischen Bildungsportals finden Sie weitere Informationen zum Auszeichnungsverfahren und zu den Weiterbildungsmaßnahmen.
Hier gelangen Sie zur aktuellen Erlassfassung:
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